Pressemitteilung zu der Öffentlichkeitsfahndung vom 14. September 2022 im Zuge des Derbys
Die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft Leipzig führt nun also eine Öffentlichkeitsfahndung oder auch Identitätsfeststellungsfahndung wegen des Derbys vor ein paar Monaten durch. Nicht das erste mal, dass in Sachsen Fußballfans an den medialen Pranger gestellt werden, man erinnere sich an Dresden. Aber was solls; Bilder von als Chaoten bezeichneten Fußballfans liefen bei Bild, Tag24 und Co doch eh rauf und runter, warum sich also aufregen? Und überhaupt: selber Schuld, wer da bei diesem Krawall rumhängt! Oder?
Nein, denn hier geht es um mehr.
Die Öffentlichkeitsfahndung (genauer: Identitätsfeststellungsfahndung) stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff von enorm hoher Intensität dar. Egal was die oben erwähnten Klatschblätter schreiben mögen, für jeden vermeintlichen „Chaoten“ gilt zunächst die Unschuldsvermutung.
Schön und gut, dass es diese gibt, wenn allerdings dein Gesicht im Rahmen einer polizeilichen Fahndung in Kombination mit einem Tatvorwurf öffentlich medial verbreitet wird, dann erkläre mal deinen Nachbar*innen, Kolleg*innen, etc. dass für dich die Unschuldsvermutung gilt. Selbst im Falle einer Anklage, bei der ein wesentlich höherer Verdachtsgrad vorliegen muss (für die Fahndung genügt bereits einfacher Tatverdacht), wird das Gesicht des oder der Angeklagten nicht zwangsläufig der breiteren Öffentlichkeit bekannt. Es ist offensichtlich, dass mit dieser Maßnahme eine erhebliche Rufschädigung für alle von ihr Betroffenen einhergeht. Die Vorverurteilung – zumindest bei all jenen, die diese Bilder sehen – ist damit bereits durch. Für Betroffene muss sich die Veröffentlichung bereits wie eine Strafe anfühlen.
Daher ist die Identitätsfeststellungsfahndung, die sich, sofern sie sich gegen den oder die Beschuldigten richtet, in § 131b Abs. 1 StPO wiederfindet, eigentlich an bestimmte Anforderungen geknüpft:
„Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, ist auch zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat, insbesondere die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre“.
Es bedarf also 1. einer Straftat von erheblicher Bedeutung und 2. muss die Feststellung der Identität auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert sein (sog. Subsidiaritätsklausel).
Aus unserer Sicht liegen die Voraussetzungen hierfür im konkreten Fall nicht vor:
1. Ob es sich um eine Straftat „von erheblicher Bedeutung“ handelt, soll zwar von einer einzelfallbezogenen Beurteilung abhängen, nichtsdestotrotz ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Tatvorwürfen nicht um Verbrechen, sondern lediglich um Vergehen handelt. Im Übrigen müssen auch hier stets die beeinträchtigten Interessen der Betroffenen abgewogen werden.
2. Offensichtlich haben die die Ermittlung führende Staatsanswaltschaft und das Gericht, welches den Beschluss durchwinkte, jedoch den Grundsatz der Subsidiarität nicht gewahrt: Bevor eine solch drastische eingriffsintensive Maßnahme gezogen wird, hätten zunächst, andere mildere – möglicherweise auch weniger, wenn auch nicht erheblich weniger erfolgsversprechende – Maßnahmen der Ermittlungen ergriffen werden müssen. Was hat die Polizei unternommen? Das Derby liegt wenige Monate zurück. Man positionierte sich einige darauffolgende Spiele mit Bildermappen am Hauptbahnhof, zog willkürlich mal hier mal da ein paar Fans raus und nun scheint die Geduld bereits am Ende. Und das obwohl wegen vermeintlich „erheblicher“ Straftaten ermittelt wird, die erst in vielen Jahren verjähren werden.
Die Leipziger Polizei verfügt über szenekundige Beamten. Die chemische Fußballszene wird seit Jahren beobachtet und mit Repressionen überzogen, nun sieht man schon nach wenigen Wochen der Ermittlungen keine andere Möglichkeit als öffentlich nach Tatverdächtigen zu fahnden.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich hierbei nicht um eine unüberschaubare riesige Erstliga-Szene handelt, bei der regelmäßig zehntausende ins Stadion pilgern und der man gar nicht anders Herr werden könnte. Die BSG spielt in der Regionalliga. Beim Derby waren 5.000 Zuschauer. Offensichtlich bereits zu viel für die Leipziger Polizei?
Abermals setzt man hier auf maximale Repression, anstelle von Aufarbeitung, Augenmaß und Verhältnismäßigkeit. Da bleibt es nur eine Randnotiz, dass die Leipziger Polizei vor einiger Zeit in Böhmermanns ZDF Sendung nicht gut weg kam.
Ob man es sich hier nun einfach machen möchte und die Identifikationsfeststellungsfahndung der gemütlichere Weg der Ermittlungen ist, oder ob es tatsächlich auch darum geht, die Tatverdächtigen abzustrafen und kurz vor dem nächsten Derby schon ein mal für ein wenig Abschreckung und damit „Ruhe“ zu sorgen – darüber können wir nur spekulieren. Fest steht: auch die Ermittlungsbehörden haben sich rechtmäßig zu verhalten, was ihnen in unseren Augen abermals nicht gelingt.
Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich die vorangegangene Kritik nun zunächst offensichtlich auf die Öffentlichkeitsfahndung an sich beschränkt. Wie es zu den anlassgebenden Ereignissen selbst gekommen ist und dass die Polizei hieran selbst nicht ganz unschuldig gewesen ist, steht auf einem anderen Blatt…
Wir als Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig kritisieren die Öffentlichkeitsfahndung jedenfalls aufs Schärfste.