Der Fall René Kindermann: oder wie sich der MDR als Pressestelle der Sächsischen Polizei bewirbt

Der Fall René Kindermann: oder wie sich der MDR als Pressestelle der Sächsischen Polizei bewirbt

 

Am vergangenen Sonntag berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk in seiner Sendung „Kripo Live“ über die Öffentlichkeitsfahndung rund um die Auseinandersetzungen beim letzten Derby im Mai 2022 im Alfred-Kunze-Sportpark. In einem reißerischen Beitrag durfte der Sportreporter René Kindermann die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft inhaltlich flankieren. Während im Hintergrund die Fotos von mutmaßlich beteiligten Akteuren durchs Bild liefen, empfahl sich René Kindermann – im normalen Leben seit Jahrzehnten auf dem Feld des genuinen Sportjournalismus tätig – als neuer „Szenekundiger Beamter“ für das Landeskriminalamt: er mutmaßte über die Gründe für die Auseinandersetzungen zwischen Chemiefans und Polizei, konstruierte absurde Rache- und Gewaltideen in Bezug auf den Lokalrivalen, brachte zeitliche wie inhaltliche Abläufe durcheinander: kurzum – er dichtete der bereits fragwürdigen und ideologischen Erzählung von Sonderkommission und Staatsanwaltschaft ein ganz eigenes Narrativ an.

Wir als ehrenamtlich arbeitende Fanhilfe der AnhängerInnenschaft der BSG Chemie Leipzig kritisieren hier nicht nur die Naivität und Dummheit von René Kindermann: er hat sich quasi als „neutraler und vermeintlich beliebter“ Sportreporter vor den Karren der Ermittlungsbehörden spannen lassen. Das mag alters- und professionspsychologische Gründe haben. Wir kritisieren in erster Linie den Mitteldeutschen Rundfunk, der mit dem Beitrag rund um die massenhafte Öffentlichkeitsfahndung jedwedes kritisches Bewusstsein eingebüßt zu haben scheint. Dass Fahndungen in dieser Form ein besonders problematisches und in Bezug auf die Grundrechte sehr eingriffsintensives Instrument sind, ist sicherlich auch dem MDR nicht neu. Personen, die mit der Unterstützung der öffentlich-rechtlichen Medien gesucht werden, sind quasi automatisch stigmatisiert und in ihrem beruflichen und privaten Umfeld bloßgestellt. Vor allem gilt dies bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die bekannter Weise das Hauptklientel im Fußballkontext abbilden. Anstatt also dem Ermittlungseifer der Leipziger Staatsanwaltschaft mit Augenmaß und Zurückhaltung zu begegnen, reiht sich der MDR in die völlig emotionalisierte Debatte rund um die Aufarbeitung des Derbys ein. Weder prüft er die strafprozessuale Legalität noch den genauen Kontext der Ereignisse. Er übernimmt 1:1 die Sicht- und Betrachtungsweise der sächsischen Sonderkommission: zugespitzt könnte man meinen, der MDR sei der verlängerte Arm der LKA-Pressestelle.

Mitnichten wollen wir an dieser Stelle ein pauschales öffentlich-rechtliches Medienbashing betreiben. Nichts liegt uns ferner. Wir möchten viel eher an den Berufsethos der PressevertreterInnen appellieren und an das, was zumindest wir als „kritische Einordnung“ von Ereignissen bezeichnen. Stellen sie die richtigen Fragen, bohren sie nach, recherchieren sie Kontexte! Welchen Tatbeitrag lieferte beispielsweise die Polizei am Tag selbst? Warum stürmten schwer bewaffnete Einheiten während des Spiels einen völlig friedlichen und feiernden Fanblock? Wie viele verletzte Fans gab es eigentlich und wird gegen Beamte ermittelt? Wurden Kinder, junge Leute und alte Menschen durch das massenhaft eingesetzte Pefferspray verletzt? Hat die Polizei ihren Einsatz kritisch ausgewertet? Was sagen eigentlich Fans und Fanorganisationen? Welche Rolle spielt die persönliche Fehde von Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz mit dem Verein BSG Chemie Leipzig? Uns jedenfalls würden noch tausend weitere investigative Fragen einfallen (und wir haben das nicht einmal studiert…). Und hören Sie bitte auf, die Bevölkerung Leipzigs zu selbsternannten Hilfssheriffs zu empowern.

Der allseits bekannte und sicher auch von Ihnen geschätzte Kommentator der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl schrieb einmal anlässlich der G20-Fahndungen in Hamburg: „Es gehört zu den Aufgaben von Polizei und Staatsanwaltschaft, Täter zu suchen. Es gehört nicht zu den Aufgaben von Polizei und Staatsanwaltschaft, bei dieser Suche Mittel einzusetzen, die unverhältnismäßig, untauglich und gefährlich sind. (…) Das ist eine gigantische Öffentlichkeitsfahndung, ein Massenscreening, eine Aufforderung zur öffentlichen Rasterfahndung.“ Vielleicht bietet dieses Zitat den Einstieg für eine selbstkritische Reflexion des MDR. Wir würden uns sehr darüber freuen – über eine Entschuldigung von René Kindermann übrigens auch.

 

Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig, 21. September 2022

Der Beitrag hier als PDF zum herunterladen Der Fall Rene Kindermann