Freispruch für drei Chemie-Fans in Freiberg

Sascha, Aron und Michael waren am Amtsgericht im sächsischen Freiberg der Körperverletzung und des schweren Raubes angeklagt. Nach dem Pokalspiel der BSG Chemie beim BSC Freiberg vor knapp zwei Jahren – damals gewannen die Freiberger im Elfmeterschießen – wurden nach dem Spiel drei Fans des Heimvereins in Stadionnähe Jacken und Pullover entwendet. Die an die Tat anschließende Fahndung der Bereitschaftspolizei stellte die drei Angeklagten in der Nähe des Tatorts aufgrund einer groben Täterbeschreibung: groß, kurze Haare und schwarze Jacke.

Drei Verhandlungstage benötigte nun das Gericht, um die Unschuld der drei Angeklagten festzustellen. Mehr als zehn Zeugen wurden dabei angehört. Selbst die Staatsanwaltschaft plädierte am Ende auf Freispruch. Schlussendlich konnten Sascha, Aron und Michael die Tatbeteiligung nicht ansatzweise nachgewiesen werden. Aufgrund der ungenauen Täterbeschreibung ohne individuelle Merkmale hätten mehr als die Hälfte der damals anwesenden Zuschauer als Täter in Frage kommen können. Insbesondere die Verteidigung kritisierte dabei die Ermittlungsarbeit der Polizei, die sich die erstbesten Fans »schnappte« und den Geschädigten als mutmaßliche Täter präsentierte. Die dabei angewandten Methoden der »Identifizierung« genügten laut Verteidigung nicht ansatzweise den Standards und Anforderungen polizeilicher Arbeit. Gericht und Staatsanwaltschaft schlossen sich dieser Argumentation teilweise an, wiesen aber auch auf die schwierige Situation der ermittelnden Beamten hin.

Das Rechtshilfekollektiv freut sich über den Freispruch und ist – wie die Angeklagten und deren Verteidigung – erleichtert darüber, dass eine Verurteilung Unschuldiger abgewandt werden konnte. Die Kosten der Verhandlung trägt in diesem Fall die Staatskasse.

Beim Zugriff die Zähne zu fest zusammengebissen…

Dinge gibt es. Ihr erinnert euch bestimmt. Rückfahrt von Kamenz in der vergangenen Saison, Zwischenstopp am Dresdner Hauptbahnhof und eine MKÜ der Bundespolizei, die aufgrund einer Ordnungswidrigkeit – dem Fallenlassen von Papierschnipseln – einen völlig unverhältnismäßigen Zugriff vom Zaun bricht. Wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte musste sich das RHK-Mitglied Holm Monate später vor Gericht verantworten. Weil sich die Begebenheit differenzierter zugetragen hatte als von der Dresdner Staatsanwaltschaft vorgetragen, wurde das Verfahren gegen Holm eingestellt. Wir hatten im März darüber berichtet. Ein paar Wochen später kam erneut Post von der Bundespolizei aus Pirna. Der Bundespolizist, der Holm damals gewaltsam zu Boden gebracht hatte, um seine Identität festzustellen, meldete urplötzlich Ansprüche auf Schadenersatz an. „Die Ausübung des zu Boden bringens beanspruchte den Polizeiobermeister so sehr, dass er die Zähne zusammenbiss. Dabei erlitt er eine Absplitterung des Schneidezahns”. Die Heilbehandlungskosten von 141,75 Euro, so zumindest die BuPo, sollte doch Holm bezahlen. Blöd nur, dass der Beamte im Rahmen seiner Zeugenaussage vor Gericht nichts von dem Vorfall erwähnt hatte. Noch blöder, wenn durch private Videoaufnahmen vor Gericht deutlich wurde, dass das zu Boden bringen grundlos erfolgte. Nicht zuletzt aufgrund dieser Aufnahmen wurde das Verfahren wegen Widerstands ja eingestellt.
Der Anwalt vom Rechtshilfekollektiv, der Holm in der
Schadenersatzanspruchsache unterstützte, wies die Bundespolizei freundlich, aber bestimmt, auf diese Widersprüche hin und riet dem Polizeiobermeister, doch bei der Wahrheit zu bleiben. Die Behörde und der vermeintlich Geschädigte sahen daraufhin von der Forderung ab. Den Zahnersatz trägt nun wohl die Staatskasse.
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… es fehlen die Gefangenen

ist auch unter Chemie-Fans ein beliebter Spruch. Blöderwiese ab und an auch bittere Realität. Zwei Fans der BSG Chemie sitzen immer noch im Gefängnis. Einer davon durchaus noch ein paar Tage länger. Soweit es möglich ist, versucht das Rechtshilfekollektiv auch den Leuten im Knast zu helfen. Für einen ordentlichen Ausbruchversuch reichen unsere Mittel und unser Know-How leider noch nicht. Manchmal sind es auch die kleinen Dinge im Leben, die die Situation vor Ort verbessern können. Zeitschriften oder Telefon-Guthaben können den Gefängnis-Alltag ein Stück erträglicher machen. Wenn ihr dafür Spenden möchtet, meldet Euch: am Stand oder via Mail!

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Und es gibt sie doch…

… sie heißen nur anders. Die sogenannten SKB-Datenbanken der Landespolizei in Sachsen. Wie durch zwei kleine Anfragen von Landtagsabgeordneten der Linken und Grünen herausgefunden wurde, existieren auch in Sachsen neben der bundesweiten „Gewalttäter-Sport-Datei“ weitere Datenbanken über Fußballfans. Bereits in mehreren Bundesländern – u.a. in Niedersachsen und Hamburg – mussten die jeweiligen Innenministerien der Länder eingestehen widerrechtlich Daten über Fußballfans zu sammeln. In keinem Fall sahen die sammelwütigen Behörden einen Anlass, die betroffenen Fans zu informieren.

Zwar handelt es sich bei den Datenbanken in Sachsen, so zumindest das Ministerium, um „keine Auskunftsdatei im klassischen Sinn, sondern um ein ,Arbeitsinstrument’ für die Ermittlungen in Strafverfahren“, trotzdem scheint es so, als wären die gesammelten Namen, Adressen, Bezugsvereine und weiteren privaten Angaben nichts anderes als vergleichbare Datensätze „Szenekundiger Beamter“ anderer Bundesländer. Die Sammelwut im „Phänomenbereich Sport und Gewalt“ betrifft neben Fans von Dynamo Dresden und dem FSV Zwickau auch 19 Anhänger der BSG Chemie Leipzig.

Jule Nagel, die als Landtagsabgeordnete eine der Anfragen gestellt hatte kommentierte die Antworten des Innenministers wie folgt: „Willkür ist hierbei Tür und Tor geöffnet. Es liegt auf der Hand, dass Menschen in der Datei landen, die sich nicht strafbar gemacht haben, sondern gegen die beispielsweise nur ein Anfangsverdacht vorliegt, oder die sich lediglich in der Nähe von strafbaren Handlungen aufgehalten haben.“

Durchaus interessant wäre darüber hinaus die Frage nach der rechtlichen Grundlage der Datenbanken. Das Recht auf „informelle Selbstbestimmung“ wurde bei Fußballfans bereits das eine oder andere Mal ausgehebelt. Die „Geheimdatei“ über Fußballfans in Sachsen bestätigtet dies ganz offensichtlich. Ein Trost, wenngleich nur ein kleiner, ist die Erklärung des sächsischen Datenschutzbeauftragten, der nunmehr eine Prüfung der SKB-Datensammlungen einleitet.

Die Kleinen Anfragen findet ihr hier:

http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=4224&dok_art=Drs&leg_per=6&pos_dok=1

Datenbank

http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=4392&dok_art=Drs&leg_per=6&pos_dok=1

Brutaler BFE-Einsatz gegen Chemie-Fans nach Auswärtsspiel in Heidenau

Brutaler BFE-Einsatz gegen Chemie-Fans nach Auswärtsspiel in Heidenau

Auf dem Rückweg von Chemie-Fans vom Auswärtsspiel im sächsischen Heidenau kam es am gestrigen Sonntagabend zu einem martialischen und brutalen Polizeieinsatz der Leipziger BFE in einer Straßenbahn.

Nachdem ca. 70 Fans friedlich und trotz Niederlage gut-gelaunt mit der Tram vom Leipziger Hauptbahnhof in den Süden der Stadt fahren wollten, um rechtzeitig zum Tatort zu Hause zu sein, kam es auf halber Strecke zu einem verstörenden Polizeieinsatz. Die Bahn wurde durch mehrere Einsatzfahrzeuge Hollywood-reif gestoppt, komplett vermummte Beamte stürmten den vollbesetzten Wagon, prügelten und knüppelten sich durch die Insassen, um einen (!) Verdächtigen zur »Überprüfung« aus der Bahn zu führen. Im Rahmen des Einsatzes wurden mehrer Fans verletzt. Insassen der Bahn reagierten vollkommen verängstigt, auch Kinder und ältere Menschen wurden ZeugInnen der vollkommen überzogenen und kaum nachvollziehbaren Maßnahme.

Nachdem der mutmaßliche Verdächtige fast eine Stunde erkennungsdienstlich behandelt wurde, ihm dabei Arme und Hände verdreht wurden, durften er und alle anderen Fans den Ort des Geschehens wieder verlassen. Der Tatvorwurf des Raubes konnte dabei nicht erhärtet werden.

Bereits am Leipziger Hauptbahnhof mussten die Fans der BSG Chemie beim Eintreffen ohne jeden erkennbaren Grund durch ein Spalier der BFE laufen, die auch hier aggressiv und provozierend auftrat.

Die Leipziger Beweißsicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) ist berühmt-berüchtigt. Sie »glänzt« seit Jahren durch Rambo-Einsätze, die die Grenzen des Legalen das ein oder andere Mal überschritten haben. Einschüchterndes und martialisches Agieren, gewalttätige Übergriffe und extremer Kopsgeist sind die wenig rühmlichen Merkmale der BFE. Die Identifikation der Beamten ist aufgrund der fehlenden Kennzeichnungspflicht in Sachsen sowie dem zumeist vermummten Auftreten der Einheit kaum möglich. Die Leipziger Staatsanwaltschaft ermittelt trotzdem in mehreren Fällen gegen die Beamten der BFE wegen verschiedener Vergehen, zumeist Körperverletzung im Amt. Im Februar findet am Leipziger Amtsgericht ein Prozess gegen zwei Polizisten der BFE statt, die vor zwei Jahren in Zwenkau einen Chemie-Fan nach einem Fußballspiel schwer misshandelten. Ob sich die heutige Aktion in die Reihe der »Fehlgriffe« einreihen soll, ob sich die BFE mal wieder in Erinnerung bringen wollte: wir wissen es nicht.

Alle Chemie-Fans, die Zeugen des gestrigen Einsatzes waren, bitten wir dringend darum, genaue Gedächtnisprotokolle anzufertigen. Falls ihr Verletzungen erlitten habt, geht zum Arzt und last diese attestieren. Mitfahrende Gäste, die die Übergriffe der Polizei gesehen und miterlebt haben, bitten wir darum, sich bei uns zu melden. (kontakt@rechtshilfe-
chemie.de)

BVerfG-Urteil: Macht die Polizei Aufnahmen von Euch, dürft ihr zurückfilmen.

Ein Klassiker bei jedem zweiten Fußballspiel oder jeder Demonstration : Die Polizei filmt Euch, fast immer ohne Grund. Kommt man dann selbst auf die Idee, die Beamten ihrerseits zu fotografieren oder zu filmen, wird man in der Regel aufgefordert, dies zu unterlassen, oft verbunden mit einer Strafandrohung oder der Aufnahme der eigenen Personalien.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Praxis der Polizei jetzt in Frage gestellt. Nach Auffassung des BVerfG ist die Polizei, wenn sie Filmaufnahmen von einer Versammlung anfertigt, nicht ohne Weiteres berechtigt, die Identität von Versammlungsteilnehmern festzustellen, die die Polizeikräfte ihrerseits filmen. Die Identitätsfeststellung sei nur bei konkreter Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut zulässig.

Die Karlsruher Richter sahen dabei durch die unzulässige Identitätsfeststellung vor allem das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Außerdem sei eine bloße Reaktion auf die von der Polizei gefertigten Bild- und Tonaufzeichnungen, etwa zur Beweissicherung mit Blick auf etwaige Rechtsstreitigkeiten, durchaus legitim.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Aktenzeichen 1 BvR 2501/13) ist http://www.bundesverfassungsgericht.de/…/rk20150724_1bvr250… im Wortlaut nachlesbar.

Grundrechte, Meinungsfreiheit und die Sache mit der Verbandsautonomie

In der vergangenen Saison – ihr erinnert euch bestimmt – gab es auf dem Norddamm ein bisher nie dagewesenes Spektakel. Als Geister mit weißen Laken verkleidet protestierten Fans gegen das ein paar Tage vorher durch den SFV proklamierte Geisterspiel, das als Strafe gegen eine »Zaunbesteigung eines Fans angeordnet wurde. Neben der durchaus originellen »Geisterchoreo« wurden unzählige Spruchbänder und Schildergezeigt, die dem Unmut der Fanszene und der Kritik am Verband freien Lauf lassen sollten. Ein durchaus legitimes Anliegen, denkt der demokratie-geschulte und mit den Grundrechten vertraute Fußballfan. Zu Schaden kam dadurch niemand, weder wurde zur Gewalt, noch zum revolutionären Umsturz aufgerufen.
Postwendend, in Form von Spieltagsonderbericht, Spielbeobachter und knallhart gefälltem Urteil kam damals das Echo durch den Verband: Wegen »Grober Unsportlichkeit«, also dem Beleidigen der Institution Fußballverband und seiner Funktionäre sollten mehrere tausend Euro an Strafe bezahlt werden.

Der dahinter stehende Konflikt erschließt sich erst bei genauem Hinsehen. Sprüche wie »Scheiß SFV« oder »schizophren, fragwürdig, verkalkt« locken im »richtigen Leben« keinen müden Richter hinter dem Sessel hervor. Für die Gerichtsbarkeit des Verbandes sind sie jedoch ein gefundenes Fressen. Denn hier gilt das durch die »Verbandsautonomie« festgelegte Recht des Sächsischen Fußballverbandes. Grund- und Menschenrechte wie Meinungsfreiheit haben sich hier grundsätzlich unterzuordnen, selbst wenn sie legitime Anliegen vertreten. Kritik an der Institution selbst, vor allem seinen Protagonisten, ist unerwünscht.

Dass die »Rechts- und Verfahrensordnung« des Verbandes gegenüber Meinungsfreiheit und Standards des Grundgesetzes nicht obsiegen darf, dass Barbarei nicht über Unabhängigkeit und der Selbstbestimmung des Einzelnen stehen sollte, dafür wird sich in den nächsten Wochen und Monaten verstärkt Euer Rechtshilfekollektiv einsetzen. Um das miserable Demokratieverständnis der Verbandsfunktionäre etwas aufzufrischen, werden wir uns intensiv mit unseren AnwältInnen in das Thema »reinknien«. Einfach wird das nicht. Gelingen kann das nur, wenn ihr uns unterstützt: werdet Mitglied!